Prävention – Teil 3

Teil 3: Präventionsmaßnahmen in der Praxis

Aus den ersten zwei Teilen der Präventions-Reihe tritt nun – zumindest theoretisch betrachtet – ein Ansatz heraus, der Menschen mit Behinderungen, die mit jeglicher Art von (sexueller) Gewalt zu tun haben/hatten/könnten, ein rettendes Lichtchen in der Dunkelheit sein könnte: Empowerment. Ganzheitlich – in allen Lebenslagen und auf allen Ebenen. Vorschläge, wie solche Strategien in der Praxis aussehen und angewandt werden könnten, lassen sich in einigen (wissenschaftlichen) Beiträgen oder auch in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen finden. Aber sollten wir nicht lieber in die Praxis, in die Realität blicken, um die Relevanz und mögliche Wirksamkeit solcher Maßnahmen zu diskutieren?

Auf der Website des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz lässt sich eine umfassende Studie mit dem Titel „Erfahrungen und Prävention von Gewalt an Menschen mit Behinderungen“ finden, in der Bewohner*innen über verschiedene Themen – so auch sexuelle Gewalt – interviewt werden (Stand 2019/2020). Dazu möchte ich kurz anmerken, dass wir uns innerhalb unserer Projekt-Gruppe im Allgemeinen sehr intensiv mit der Problematik von Menschen mit Behinderungen als Forschungsobjekte auseinandergesetzt haben (bzw. uns noch immer damit auseinandersetzen); besonders, wenn es um Interviews geht – darüber könnt ihr bei Interesse in einem eigenen Blogbeitrag von Ramona lesen. Nichtsdestotrotz scheinen hier jedoch die Ergebnisse basierend auf den berichteten Erfahrungen der Personen von großem Wert zu sein.

Wie es mir beim erstmaligem Lesen dieser Studienergebnisse und vor allem Erzählungen der Menschen ergangen ist? Nun, ich glaube, es kann jeder nachvollziehen, dass ich – trotz intensiver Beschäftigung mit diesem Thema und trotz der eher trockenen Wissenschaftlichkeit der präsentierten Ergebnisse – erschüttert bin und war. Einerseits gehen die Ausschnitte persönlichen Geschichten tief unter die Haut, andererseits zeigen die Ergebnisse ein weiteres Mal auf, wie aktuell das Thema Gewalt generell noch ist – auch sexuelle Gewalt – und wie groß die Relevanz von einem Licht in der Dunkelheit ist. Laut den zusammengefassten Ergebnissen berichten viele Menschen über (sexuelle) Gewalterfahrungen, beispielsweise von Betreuern*innen, anderen Bewohnern*innen; oder auch von der Unterbindung ihrer Sexualität, wo unter anderem auch die Eltern explizit angeführt werden, die die Sexualität ihrer ‚Kinder‘ teilweise nicht anerkennen (wollen). Das gehe laut den betroffenen Personen oftmals so weit, dass sie nicht mal sexuelle Aufklärung – von wem auch immer – erhalten haben. So, als hätten sie keine Gefühle, Bedürfnisse, Sehnsüchte – als existiere Sexualität in ihren Leben gar nicht. So sehr dieses ‚keine-Aufklärung-Thema‘ zuerst vielleicht als eher ‚harmloser‘ erscheinen mag, man sieht, welche impliziten Zuschreibungen und Ausgrenzungen es bei näherem Durchdenken mit sich zieht – zumindest hat mich diese Erkenntnis schockiert… Umso verständlicher ist es nun, dass der Wunsch nach sexueller Aufklärung in den Berichten immer wieder vorkommt. Auch eine breite Aufklärung bezüglich des Themas Sexualität und Behinderung, die sich an alle Menschen richtet, wird gewünscht und auch gefordert. Und wieder wird auch der nachdrückliche Wunsch nach Selbstbestimmung, nach Gleichberechtigung und nach Informationen laut – Menschen wollen ernst genommen und gehört werden – in allen Lebenslagen! Und somit natürlich auch im Bereich der Sexualität. Um handlungsfähiger zu werden, sich und andere schützen zu können oder Sexualität überhaupt ausleben zu können, und und und.
Natürlich gibt es noch viele weitere relevante Themen und Ergebnisse, wer sich diesen ganzen Bericht durchlesen möchte, findet den Link am Ende des Eintrags. Auf alle Fälle sieht man aber sehr gut, dass die vorgeschlagenen Präventionsmaßnahmen zumindest theoretisch für die Praxis Sinn machen, richtig und wichtig sind. Was man – leider – aber auch erkennt, ist die Aktualität und Häufigkeit (sexueller) Gewalt in den Leben von Menschen mit Behinderungen. Wir in der Gruppe hören auch oft von Michael erlebte Geschichten und Erzählungen dazu, die einem den Kopf schütteln lassen.

Aber genau aus diesem Grund ist es so sehr wichtig, dagegen zu kämpfen; sich zu informieren (sich informieren zu KÖNNEN); seine Grenzen zu kennen und darin auch von anderen ernst genommen zu werden; gehört und gleichberechtigt behandelt zu werden; … Raus aus der Ohnmacht, aus der Dunkelheit, die (sexuelle) Gewalt mit sich zieht – mit einem Lichtchen bestehend vor allem aus Aufklärung und Empowerment.

Verwendete Literatur/zum Weiterlesen:

Mayrhofer, Hemma/Schachner, Anna/Mandl, Sabine/Seidler, Yvonne (2019): Erfahrungen und Prävention von Gewalt an Menschen mit Behinderungen. https://www.sozialministerium.at; https://broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Download?publicationId=718

Czauderna, Cathrin/Schulte, Alexandra/Sicking, Annette (2013): Sexuelle Aufklärung bei Menschen mit geistiger Behinderung – Selbstverständlichkeit oder Notwendigkeit?, Bachelorarbeit im Studiengang Sozialpädagogik an der Academie Mens en Maatschappij (Saxion).

Chodan, Wencke/Häßler, Frank/Reis, Olaf (2014): Programme zur Prävention von sexuellem Missbrauch von Menschen mit geistiger Behinderung, in: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, Jg. 63, Nr. 2, S. 82-98. https://doi.org/10.13109/prkk.2014.63.2.82