Prävention – Teil 1

Prävention Teil 1: Hintergrund & Notwendigkeit von Präventionsmaßnahmen

Heute möchte ich damit beginnen, unseren Blickwinkel gemeinsam auf Prävention, also auf die Vorbeugung beziehungsweise auf die Verhinderung von (sexueller) Gewalt gegenüber Menschen mit (kognitiven) Beeinträchtigungen, zu richten. Diese Thematik hat und hatte innerhalb unserer Gespräche und innerhalb unseres gesamten Projekts ebenso einen hohen Stellenwert, lenkt es doch den Fokus auf ‚Was können ich/du/jeder einzelne Mensch/Institutionen/… dazu beitragen, (sexueller) Gewalt aller Art keinen Raum zu geben; was können wir machen, welche Maßnahmen können wir setzen.‘ Die Aussicht auf Handlungsmöglichkeiten. Sozusagen ein Lichtlein für alle, das aus der Dunkelheit, aus der Ohnmacht führt.

Um der Bandbreite der Präventionsmaßnahmen gerecht zu werden, werde ich dieses Thema in drei Teile aufteilen. Im ersten Teil, also in diesem Beitrag, werde ich mich bemühen, euch den theoretischen Hintergrund von Präventionsmaßnahmen vorzustellen, die in weiterer Folge vor allem auch an ein Verständnis von sexueller Gewalt anknüpfen, welches in diesem Blog bereits von Lena (siehe ‚Ist es gewaltvoll Sexualität zu unterbinden‘) diskutiert wurde: Sexuelle Gewalt als Unterbindung der Sexualität.
Im zweiten Teil der ‚Präventations-Reihe‘ wird dies weiterhin thematisiert und vertieft, jedoch wird ein stärkerer Praxisbezug deutlich. Auch im dritten Teil bleibt der Bezug zur Praxis bestehen – der Fokus liegt auf konkreten Bedürfnissen von Menschen mit Beeinträchtigungen und davon ausgehend auf einem (kritischen) Blick auf die vorgeschlagenen Präventionsmaßnahmen.

Hintergrund
Bevor ich auf mögliche Präventionsmaßnahmen eingehe, die vor allem verhindern sollen, dass Menschen mit Behinderung sexuelle Gewalt durch Entziehung/Unterbindung von Sexualität erfahren, möchte ich ein Thema öffnen, das in gesellschaftlichen Diskursen zur Genüge bewusst und unbewusst vorkommt. Übrigens war es auch innerhalb unserer Projekt-Gruppe ein großes Thema in einer gemeinsamen Diskussion. Ich spreche von sogenannten binären hegemonialen Strukturen und Dominanzverhältnissen, die in unserer Gesellschaft verankert sind und ständig reproduziert werden; sowie von Normalitätsvorstellungen, die hierbei ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Ich weiß, diese Konzepte klingen erstmal sehr sperrig und komplex, deshalb werde ich versuchen, sie zu veranschaulichen. Innerhalb unserer Gesellschaft existieren (Dominanz-)Verhältnisse, die durch Gegenpole veranschaulicht werden können, wovon eines das Dominante/Privilegierte ist; das andere ist oftmals ein ‚Marker‘ für Diskriminierung: reich (dominant) vs. arm; weiß (dominant) vs. schwarz; und in weiterer Folge auch Mensch ohne Behinderung (dominant) vs. Mensch mit Behinderung. Daraus ergibt sich ein Ungleichgewicht von Macht und Dominanz. Nun fehlt noch die Verbindung zu den Normalitätsannahmen. Diese ergeben sich ebenfalls aus diesen Ungleichgewichts-Strukturen, sind jedoch auch ein maßgeblicher Grund dafür, dass diese Strukturen ständig reproduziert werden und so in gesellschaftlichen Diskursen weiterleben. Die Vorstellungen über ‚Was ist normal/nicht normal‘ kommen selbst im gelebten Alltag von nahezu jedem*r von uns vor – nehmen wir uns alle eine Woche Zeit, um aktiv darauf zu achten, wie oft mit dem Wörtchen ‚normal‘ etwas beschrieben wird… Wir wären überrascht. Und so schleicht sich diese durch Macht und Ungleichheit geprägte Struktur immer wieder in unser aller Leben und wird immer weiter reproduziert. Vor allem auch sehr zum Nachteil von Menschen, die bereits einem höheren Risiko von Diskriminierungen ausgesetzt sind, die oftmals als ‚nicht-normal‘ bezeichnet werden, die im Machtgefälle unten stehen.

Erster Ansatz von Präventionsmaßnahmen
Was nun aus diesen Erkenntnissen hervor geht, ein erstes Lichtlein sozusagen, ist die Beschäftigung mit möglichen Präventionsmaßnahmen, die nicht nur für eine spezifische Situation anzuwenden sind, sondern Maßnahmen, die dort ansetzen, wo sie für viele verschiedene Menschen in verschiedenen Lebenslagen und -bereichen von Nutzen sein können. Maßnahmen, die dieses Ungleichgewicht und Machtgefälle in den asymmetrischen Strukturen unserer Gesellschaft miteinbeziehen und versuchen, diese so gut es geht außer Kraft zu setzen.
Daraus ergibt sich der Anspruch an Präventionsmaßnahmen, dafür zu sorgen, dass Menschen mit Behinderung barrierefrei an Diskursen teilnehmen können, dass sie ernst genommen und auch gehört werden. Denn nur mit einem solchen Ansatz ist es letztendlich möglich, den Weg aus dem Dunkel zu erleuchten.

Verwendete Literatur/Literatur zum Weiterlesen:

Merl, Thorsten/Mohseni, Maryam/Mai, Hanna (2018): Pädagogik in Differenz- und Ungleichheitsverhältnissen. Aktuelle erziehungswissenschaftliche Perspektiven zur pädagogischen Praxis. Wiesbaden: Springer VS.

Kessl, Fabian/Plößer, Melanie (2010): Differenzierung, Normalisierung, Andersheit. Soziale Arbeit als Arbeit mit den Anderen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Sauer, Karin/Teubert, Anja (2018): Prävention von (sexualisierter) Gewalt gegenüber Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, in: Interdisziplinäre Fachzeitschrift für Prävention und Intervention, Jg. 21, Nr. 1, S. 46-57.